Navigation: Damaskus > Diplomatie

Der diplomatische Briefwechsel der Damaskusaffäre

Der Mordfall in Damaskus weckte bereits früh das Interesse der dort tätigen europäischen Diplomaten. Ein reger Verkehr von Depeschen aus dem Orient führte im Gegenzug zu einer großen Aufmerksamkeit von politischen Funktionsträgern in Europa. Während eine Vielzahl der Repräsentanten Berichte über das Verschwinden des Paters und seines Dieners verfassten, zeigte einer unter ihnen ein besonderes Interesse an diesem Ereignis. Der französische Konsul in Damaskus, Benoît Ulysse de Ratti-Menton, sah im Verschwinden der beiden Männer eine direkte Verbindung zur dort lebenden jüdischen Bevölkerung. Getrieben von antisemitischen Ressentiments, tat Ratti-Menton alles, um wichtige Repräsentanten der Damaszener Jüdinnen und Juden verhaften zu lassen. Gemeinsam mit den Ordensbrüdern des italienischen Kapuzinermönches Tomaso berichtete Ratti-Menton dem Statthalter von Damaskus von dem Vorfall.1
Kurze Zeit später schrieb der Konsul den ersten offiziellen Bericht an seinen Vorgesetzten, den französischen Premierminister Marschall Soult. Das Wirken Ratti-Mentons in Damaskus war für die geopolitischen Interessen Frankreichs sehr wichtig, weil der Erhalt der Herrschaft im vorderen Orient durch Muhammad Ali, einem aufständischen Ex-Offizier des Osmanischen Reiches, einen zentralen Bestandteil der französischen Außenpolitik in der Region bildete. Bereits in seiner ersten Depesche nach Frankreich bezeichnete Ratti-Menton die jüdische Bevölkerung von Damaskus als dringend tatverdächtig. In seinem Brief vom 29. Februar 1840 schrieb er an Marschall Soult: „Vor dem Kapuzinerkloster versammelten sich Christen aller Konfessionen und riefen laut, dass Pater Thomas von den Juden ermordet wurde.“2
In den Machtzentren Europas war man schockiert über die Nachrichten aus dem Osmanischen Reich. Auch die mächtige jüdische Bankiersfamilie Rothschild schaltete sich ein, um ihre Glaubensbrüder und -schwestern in Damaskus vor einem Ritualmord-Prozess zu bewahren. Der Berater der Rothschilds für jüdische Angelegenheiten, Albert Cohn, beauftragte den Präsidenten des Israelitischen Zentralkonsistoriums in Paris, Adolphe Crémieux, mit der Planung einer medialen Gegenoffensive zu den unhaltbaren Ritualmordanschuldigungen.3
Auch der österreichische Diplomat Anton Joseph Laurin in Alexandria bezweifelte einen etwaigen Ritualmord durch die Damaszener Jüd*innen. Als langjähriger Diplomat im Dienste der Habsburger Monarchie kritisierte Laurin das Vorgehen der arabischen Behörden in Damaskus. Laurin stellte außerdem fest, dass die Verhaftung eines österreichischen Juden durch Männer des Paschas von Damaskus einzig und allein aus finanziellen und persönlichen Gründen geschehen sei. So schulde ein Beamter der französischen Botschaft dem österreichischen Juden Isaak Picciotto Geld. Des Weiteren sei ein Diener des Paschas in eine Fehde mit dem Österreicher Picciotto verwickelt.5 Der Pariser Repräsentant der Rothschilds, Nathaniel de Rothschild, schlug daraufhin am 4. Juli 1840 vor, eine Kommission bestehend aus Adolphe Crémieux und dem neugewählten Präsidenten des Londoner Board of Deputies, Sir Moses Montefiore, nach Alexandria an den Hof Muhammad Alis zu entsenden. Ziel war es, eine Freilassung der inhaftierten Damaszener Juden zu erwirken. Während die jüdischen Gemeinden in Großbritannien das Unterfangen weitestgehend begrüßten, waren die Juden in Frankreich eher skeptisch, ob die Mission gelingen könnte. Die französischen Jüdinnen und Juden hatten erst vor kurzer Zeit ihre vollwertigen Bürgerrechte in Frankreich erstritten. Sie fürchteten, dass ein solches internationales Abenteuer womöglich die frisch errungene Gleichstellung leichtsinnig aufs Spiel setzen würde.6

Exponate zum Thema