Heinrich Heine und der Rabbi von Bacharach
Als bedeutende außenpolitische Schlagzeile des 19. Jahrhunderts hat die Damaskusaffäre viele Schriftsteller und Intellektuelle jener Zeit auf das Unrecht, das den Juden von Damaskus widerfuhr, aufmerksam gemacht. Der wichtigste deutschsprachige Rezipient unter ihnen war Heinrich Heine. Zum Zeitpunkt der Affäre 1840 war Heine als Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung in Paris tätig. Was Heine jedoch von den anderen Journalisten unterschied, war sein enormes Insiderwissen zu den Abläufen im fernen Damaskus. Er pflegte beste Kontakte zu Politikern, Diplomaten und Bankiers wie den Rothschilds und war dadurch besser informiert als seine europäischen Kollegen.
Während die Damaskusaffäre eine bedeutende Zäsur für viele intellektuelle Juden im Westen darstellte, war sie für Heinrich Heine ein Schlüsselerlebnis, welches sein persönliches Verhältnis zum Judentum veränderte. Heine war selbst Jude, lebte jedoch seinen Glauben sehr säkular und war stärker von der hellenistischen Philosophie geprägt. Doch dies änderte sich maßgeblich mit der Damaskusaffäre. Das Leiden seiner Glaubensbrüder in den Kerkern von Damaskus entfachte in Heine eine Rückwendung zum Judentum. Während viele europäische Presseorgane die Ritualmordanschuldigungen aus Damaskus ohne Kritik weiterverbreiteten, verteidigte Heine als einer von Wenigen die verfolgten Juden. Scharfsinnig recherchierte er die wahren Hintergründe und Fakten des Falles und bewirkte dadurch sogar einen Kurswechsel beim Herausgeber der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“. Sein Engagement veränderte schließlich auch die Meinungsbildung über die Damaskusaffäre europaweit, indem die Öffentlichkeit im Laufe der Zeit viel Zuspruch und Solidarität mit den inhaftierten Juden signalisierte.1 In seiner ersten publizierten Stellungnahme zur Damaskusaffäre schrieb Heine am 7. Mai 1840 aus Paris:
„Während wir in Europa die Märchen [des Ritualmordes] als poetischen Stoff bearbeiten und uns an jenen schauerlich naiven Sagen ergötzen […], fängt man an im Morgenlande sich sehr betrübsam des alten Aberglaubens zu erinnern […]! Unterdessen foltert der Henker, und auf der Marterbank gesteht der Jude, daß er bei dem herannahenden Paschafeste etwas Christenblut brauchte zum Eintunken für seine trocknen Osterbröde, und daß er zu diesem Behufe einen alten Kapuziner abgeschlachtet habe!“2
Mit diesen Worten bringt Heine die Ereignisse von Damaskus auf den Punkt. Während die Ritualmordlegende in Westeuropa bereits weitestgehend als Märchen klassifiziert war, diente dieselbe im Orient dazu, weiterhin Jagd auf Juden zu machen.
Die Damaskusaffäre wurde auch in Heines schriftstellerischen Schaffen wichtig. Seit 1824 schrieb er an einem Roman, dem Rabbi von Bacharach. Das Werk war zuerst nur ein Fragment aus drei Kapiteln, mit einem fiktiven mittelalterlichen Ritualmord zu Beginn. Doch plötzlich war diese düstere mittelalterliche Fiktion für ihn viel mehr, sie wurde auf schreckliche Weise zur Realität.
Heine schreibt über ein kleines Städtchen am eigentlich romantischen Mittelrhein mit dem Namen Bacharach. Dort stand eine Kirche, die man im Jahr 1293 für den angeblich von Juden ermordeten Werner umbauen ließ. Aufgrund des Ritualmordvorwurfes war es zuvor zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung gekommen, bei denen unzählige Juden misshandelt und getötet worden waren.3 In der weiteren Erzählung flieht der Rabbiner von Bacharach mit seiner Frau vor der Verfolgung der religiösen Eiferer mit einem Boot über den Rhein. In Frankfurt angekommen, sieht er sich mit der gefährlichen Lage und der Isolation der Juden im Ghetto konfrontiert:
„Der Rabbi aber riß sich von ihm los und ging mit seinem Weibe weiter die Judengasse hinauf. ‚Sieh, schöne Sara‘ – sprach er seufzend – ‚wie schlecht geschützt ist Israel! Falsche Freunde hüten seine Tore aussen, und drinnen sind seine Hüter Narrheit und Furcht!‘“4
Mit der Flucht des Rabbiners vom Lande in die Großstadt beschreibt Heine ein weiteres Drama der jüdischen Geschichte: Die Flucht zum Schutze des eigenen Lebens, mit dem Wunsch nach Freiheit und Erlösung in der neuen Heimat.
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