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Die Zeitungen überschlagen sich

Während sich die Lage in Damaskus immer weiter zuspitzte, weitete sich die Affäre um den verschwundenen Kapuzinermönch in Europa zu einem überregionalen Medienereignis aus. In allen großen, wie auch vielen kleineren Blättern konnte man sich über die Gräueltaten informieren, die sich im jüdischen Viertel von Damaskus zugetragen haben sollen. Dabei fiel das Mitleid für die beschuldigten Damaszener Juden von Land zu Land unterschiedlich groß aus. In Deutschland und Frankreich stellten Teile der Presselandschaft sich gegen sie und publizierten Artikel, die den Ritualmordvorwurf unterstützen oder ihn zumindest nicht dementieren. In Österreich und England ging man hingegen vorsichtiger mit den Gerüchten um und äußerte sich neutral oder tendenziell pro-jüdisch zu den Vorfällen. Natürlich nutzten auch Mitglieder der jüdischen Gemeinden die Printmedien, um sich gegen die Vorwürfe öffentlich zur Wehr zu setzen.1 Was vor 180 Jahren als moderne Berichterstattung galt, mutet aus der Retrospektive recht laienhaft an. Die wichtigsten Informationen lieferten nicht etwa Journalisten und Korrespondenten, sondern Reisende, Missionare und Diplomaten, die ihren Berichten nicht selten eine subjektive Färbung verliehen. Hatte eine Zeitung keinen Zugriff auf direkte Informationen, bediente man sich einfach an dem, was andere Blätter hergaben. Gefiltert wurden Informationen nur selten. Auf einem umkämpften Markt galt es, möglichst schnell interessante Neuigkeiten zu veröffentlichen, auch wenn dies auf Kosten des Wahrheitsgehaltes und der Objektivität geschah.2 Zu ihnen gehörten die auflagenstärksten Tageszeitungen ihrer Zeit, beispielsweise The Times aus London, für den deutschsprachigen Raum die Leipziger Allgemeine Zeitung und die Allgemeine Zeitung aus Augsburg – für die auch Heinrich Heine schrieb – sowie deren ideologischer Gegenpol, die Augsburger Postzeitung. Auch die führende Tageszeitung Österreichs, der Oesterreichische Beobachter, widmete dem Thema ganze Titelseiten. Aus dem französischen Raum tat sich unter anderem das erzkatholische Blatt l’Univers hervor, durch eine Haltung, die sich klar gegen die Angeklagten richtete. Aber durchaus auch kleinere Blätter, welche hier in Form des Kourier an der Donau Vertretung finden, beteiligten sich an der Verbreitung der Berichte.
Neben der Befriedigung der Sensationslust der Leser*innen lassen sich über die Intentionen der unterschiedlichen Journale, bestimmte Inhalte zu übernehmen, keine eindeutigen Aussagen treffen. So ließ die englische Times sowohl pro-jüdische als auch eindeutig judenfeindliche Stimmen auf ihren Seiten zu Wort kommen; durch dieses Vorgehen sollte der Eindruck einer objektiven Berichterstattung entstehen. Auch die Leipziger Allgemeine Zeitung tat sich nicht durch Engagement für die Jüdinnen und Juden hervor, stattdessen verschwieg sie die Ausmaße der Folterungen, gab ebenfalls antisemitischen Narrativen Raum und übernahm unkommentiert Falschmeldungen über den Talmud. In der Augsburger Allgemeinen Zeitung fanden diejenigen ein Sprachrohr, welche über die Vorgänge in Damaskus bestürzt waren. Hier wurde Kritik an der Berichterstattung anderer Verlagshäuser geübt und die aus Damaskus überlieferten Dokumente nicht bloß übernommen, wie es die meisten taten, sondern einer kritischen Analyse unterzogen. Die lokale Konkurrenz, die Augsburger Postzeitung, witterte eine politische Verschwörung hinter den Geschehnissen in Damaskus, bei der sich die jüdische Bevölkerung angeblich durch ‚Vaterlandsverrat‘, Bestechung und politische Einflussnahme schuldig machte.
Der Oesterreichische Beobachter kann als Beispiel für die unreflektierte Übernahme der international kursierenden Nachrichten herangezogen werden. Während in einer Samstagsausgabe noch die reißerischen Vorwürfe mitgetragen und den Angeklagten die Täterschaft zugeschrieben worden war, mussten die Schuldzuweisungen bereits am nächsten Tag zurückgezogen und kleinlaut eingeräumt werden, dass die angeführten Beweise aus unwahren Behauptungen bestanden hatten und die Schuld keineswegs nachgewiesen werden konnte. Galionsfigur derjenigen Stimmen, welche keine Zweifel an der Anklage hegten, den verschwundenen Mönch als Märtyrer stilisierten und das brutale Vorgehen der Verfolgungsinstanzen guthießen, stellte die französische Zeitung l’Univers dar, welche der antisemitischen katholischen Presse zugeordnet werden kann. Die oft erstmalig dort erschienenen Dokumente wurden anschließend von vielen größeren und kleineren Gazetten übernommen, einschließlich der das Judentum betreffenden negativen Konnotationen. So gelangte die antijüdische Demagogie schlussendlich auch in die regionale Presselandschaft, welche durch den Kourier an der Donau, Zeitung für Niederbayern, repräsentiert ist. Auch hier wurden ohne valide Nachweise oder Expertise Spekulationen über den Talmud gedruckt, die zur Mystifikation desselben und in der Folge zum Misstrauen gegenüber der jüdischen Bevölkerung beitrugen.

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