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Johann von Leers – “Forderung der Stunde: Juden Raus!”

Der 1902 in Mecklenburg geborene Johann Jakob von Leers war deutscher Jurist. Als Kriegskind hatte er knapp den Einsatz im Ersten Weltkrieg verpasst. Dies sollte für ihn jedoch kein Grund sein, die nächste Möglichkeit auf eine militärische Auseinandersetzung erneut verstreichen zu lassen. Im Oberschlesischen Territorium kam es zu kämpferischen Aktionen zwischen der deutschen und polnischen Bevölkerung.1 Der junge von Leers entschied sich dort zum ersten Mal, völkisches und rassistisches Denken zu vertreten. Er sollte sein Leben lang ein Getriebener des Hasses bleiben, nur sein Antrieb sollte sich maßgeblich verändern.
Sein Leben war geprägt von Antisemitismus, Rassismus und großen Wendungen, die fast ein wenig surreal wirken. Es sollte nicht mit dem Zweiten Weltkrieg enden, wie das von vielen seiner Parteigenossen*innen in der NSDAP, in die von Leers im August 1929 eingetreten war. Während und nachdem von Leers seine Karriere im Auswärtigen Amt als Kulturattaché wegen seiner offen praktizierten antisemitischen Gesinnung aufgeben musste, setzte er sich fortwährend mit der sogenannten Judenfrage auseinander und widmete sein Leben der politischen und gesellschaftlichen Diffamierung von Regimegegner*innen. Von Leers sollte einer der engen Mitarbeiter Goebbels werden, eine der bedeutendsten Biografien über den Führer schreiben und die NS-Zeitschrift Wille und Weg herausgeben.2 Um seinen Standpunkt zu vertreten und argumentativ zu stützen, bediente er sich auch antijüdischer Ritualmordlegenden.
In seiner 21-seitigen Hassschrift Forderung der Stunde: Juden Raus! arbeitet Johann von Leers angeblich die geschichtlichen Hintergründe und biologischen Grundlagen heraus, die für ihn deutlich machen, warum das „deutsche Volk“ Juden hassen und somit der Verfolgung eben dieser zustimmen sollte. In drei Perioden beschreibt von Leers den „jüdischen Aufstieg“ und begründet diesen dabei größtenteils mit dem profitablen Geldhandel und -verleih. Im letzten Drittel des Werkes wird es dann ziemlich konkret: Im Unterkapitel Was haben wir gegen die Juden? zählt von Leers zunächst einige Beispiele vermeintlicher jüdischer Rechtsauffassungen auf, die seiner Meinung nach nicht mit dem Wertesystem des Deutschen Reiches vereinbar seien, nur um danach in aller Ausführlichkeit alle instrumentalisierbaren „Ritualmordfälle”, die ihm bekannt sind, aufzulisten. Er stellt die sicher rhetorisch gemeinte Frage, ob man (wohl das „deutsche Volk“) es nötig hätte, ein „derartiges Gaunervolk“ unter sich zu dulden.3 Angehörige des designierten „Gaunervolks“ sollen in zahlreichen Fällen kleine unschuldige Kinder verfolgt, verschleppt und schließlich wie Vieh geschächtet haben. Diese Praktik soll laut einer falsch interpretierten Überlieferung aus dem Sohar (häufiger auch Zohar), einer der wichtigsten Glaubensschriften, eine jüdische Tradition sein. Dort heißt es: „Ferner gibt es ein Gebot des Schächtens, das in rituell gültiger Weise geschieht an Fremden (d.h. Nichtjuden), die keine Menschen sind, sondern dem Vieh gleichen“.4
Die Übersetzung dieser Textpassage nahm Religionsforscher Erich Bischoff vor, der in den 1920er Jahren vielen Antisemitinnen und Antisemiten vor Gericht als Gutachter zu Seite stand. Ob diese Interpretation in erster Linie also wertfrei dem wissenschaftlichen Diskurs dienlich sein sollte, ist zunächst einmal höchst fraglich.
Weiterführend nennt von Leers weitestgehend belegfrei 15 Fälle jüdischer „Ritualmorde”: den frühesten seiner Aufzählung legt er ins Jahr 1114 (eigentlich 1144), in die britische Stadt Norwich. Dort soll dem später – auch hier irrt der Autor – von der katholischen Kirche heilig gesprochenen 12-jährige William von Juden Blut „abgezapft“ worden sein. Als aktuellsten Fall nennt von Leers den Fund der „blutleeren Leiche mit durchschnittene[m] Hals“ der siebenjährigen Agnes Kador im März 1913. Gesucht werde in diesem Fall ein Mann mittleren Alters mit „stark jüdischer Sprechweise und einer schmalen, langen, gebogenen Adlernase“.5
So skandalträchtig, wie diese Anschuldigungen sich lesen lassen, endete auch Johann von Leers Leben. Unter neuem Namen konnte er aus amerikanischer Internierung entkommen und es gelang ihm, über Argentinien nach Ägypten zu fliehen. Dort konvertierte er zum Islam, nannte sich Omar Amin von Leers und konnte weiterhin antisemitische Propaganda für das Regime von Gamal Abdel Nasser veröffentlichen. 1965 starb von Leers in der ägyptischen Hauptstadt Kairo.6

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