Hellmut Schramm: Der Jüdische Ritualmord – Eine Historische Untersuchung (1943)
Der 1904 in Wilmsdorf bei Dresden geborene Grundschullehrer Max Hellmut Schramm ist ein gutes Beispiel für eine Person, die durch ihr opportunistisches Verhalten im NS-System von der Nazi-Herrschaft zu profitieren versuchte.
Schramm, dessen Dissertation aufgrund erheblicher Mängel mehrfach überarbeitet werden musste und deren Abschlussnote nicht zur akademischen Laufbahn reichte, äußerte sich vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten öffentlich nicht antisemitisch.1 Ab 1934 sah er seine Chance gekommen, sich zusätzlich zur Lehrtätigkeit an Volks- und Mittelschule als sogenannter Ritualmord-Experte im NS zu etablieren und fing an, sich mit dem Thema zu beschäftigen.2 1943 publizierte er schließlich über den nationalsozialistischen Theodor Fritsch Verlag eine 475-seitige, zusammenfassende Sammlung aufsehenerregender Ritualmordbeschuldigungen, darunter auch die angeblichen Fälle aus Kiev, Polná, Tiszaeszlár, Damaskus und Xanten. Aus verschwörungstheoretischen Anschuldigungen konstruiert Schramm in Der jüdische Ritualmord – Eine historische Untersuchung reale Taten und verpackt diese, um sie authentischer wirken zu lassen, in ein pseudowissenschaftliches Gewand.
Im Vorwort adelt Antisemit Johann von Leers, einer der produktivsten Publizisten im Nationalsozialismus, Schramms Buch als das „Ergebnis einer fleißigen und gründlichen Arbeit“3: Schramm habe beim Erstellen seines Werks im Gegensatz zu anderen Antisemiten, die sich bisher des Themas angenommen hätten, sowohl den richtigen Instinkt gehabt als auch die richtige wissenschaftliche Methodik angewandt. Von Leers erhebt Schramm und sein Buch gar zu einem Werkzeug Gottes: „Wer gegen das Judentum kämpft, der ‚tut das Werk des Herrn‘ und kämpft einen Gotteskampf. Ein wertvolles Stück dieses Kampfes liegt hier vor.“4 Zu einem gänzlich anderen Urteil kommt der nationalsozialistische Antisemit und sogenannte Ritualmord-Experte des Stürmers Hans Jonak von Freyenwald, der Schramm möglicherweise als neuen Konkurrenten auf seinem ,Fachgebiet‘ wahrnahm. Er bezeichnet die Arbeit Schramms als „eine Fundgrube von Unrichtigkeiten und unbewiesenen Behauptungen“.5 Jonak von Freyenwald zeigt in seiner Rezension anhand von Beispielen und klar zu erkennenden Fehlern aus Schramms Buch auf, wie Schramm zwar vorgaukelt, wissenschaftlich zu arbeiten, diesem Anspruch jedoch nicht gerecht wird. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Jonak von Freyenwald seine vernichtende Kritik an Schramms Buch über die offiziell zur NSDAP gehörende und von Alfred Rosenberg herausgegebene Zeitschrift Nationalsozialistische Monatshefte veröffentlichte. Dabei ist es ausgerechnet Alfred Rosenberg, der von Schramm in höchsten Tönen gelobt wird6 und dem Schramm sein Buch gar widmete.
Was der Reichsführer SS Heinrich Himmler methodisch von Schramms Buch hielt, wissen wir nicht. Wir wissen jedoch, wie er die Arbeit Schramms propagandistisch einordnete. Durch Schramms Buch inspiriert, entwickelte Himmler beispielsweise die Vision, illegale fremdsprachige Propagandasender einzuführen. Sie sollten möglichst „sensationell“7 – Himmler nannte als Musterbeispiel ausdrücklich die Ausgaben von Der Stürmer zu Zeiten der Weimarer Republik – über angebliche Ritualmordfälle berichten, um dadurch „den Antisemitismus in der Welt ungeheuer aktivieren“8 zu können. Außerdem verlangte er nach Untersuchungen in Rumänien, Ungarn und Bulgarien, um dort angebliche Ritualmordfälle propagandistisch zu nutzen, „um damit die Herausnahme der Juden aus den Ländern zu erleichtern“, auch in Deutschland strebte er Prozesse gegen noch nicht deportierte Jüdinnen und Juden an.9 Zusätzlich befahl Himmler, dass Kaltenbrunner hunderte Exemplare von Schramms Hetzpamphlet an seine Einsatz-Kommandos und insbesondere an die mit der „Judenfrage“ beschäftigten Männer verteilen solle. Auch Himmler plante nach eigener Aussage, Schramms Buch in der von ihm geleiteten SS bis zum Standartenführer zu verteilen. Dadurch sollte wohl eine Desensibilisierung der mordenden Einsatz-Gruppen und SS-Männer gegenüber den als barbarisch und monströs dargestellten Juden erreicht werden.
Bekanntheit erlangte das Buch auch durch Reichspressechef Otto Dietrich, der es über Presseanweisungen mehr als 30 Millionen Leser*innen empfahl. Der Opportunist Schramm leugnete nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone lebend alle antisemitischen und nationalsozialistischen Tätigkeiten und konnte tatsächlich unbehelligt bis zu seinem Tod 1990 weiterleben. Seit 2002 verbreitet sich vor allem die englische Fassung von Schramms Buch vermehrt im Internet und sorgt damit für eine Art Wiederbelebung dieser antisemitischen Verschwörungstheorie insbesondere in arabischen Ländern.10
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