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„Der Stürmer“ – Sondernummer Mai 1934

Mit der ersten Sondernummer zum Thema „Ritualmord“ unter nationalsozialistischer Herrschaft glaubte Herausgeber Julius Streicher im Mai 1934 von Repressionen und Kritik verschont, seine hetzerischen Lügen verbreiten zu können. Doch wie viele vor 1933 erschienene Ausgaben des Stürmers rief auch diese Sonderausgabe viele Kritiker auf den Plan, darunter Görings Gestapo und später auch Hitler, was verdeutlicht, wie sehr Der Stürmer mit seiner Art der Hetze selbst aus Sicht von Parteigenossen überzog.
Bereits auf der zweiten Seite dieser Sondernummer begibt sich Der Stürmer im Artikel Der Kampf des Stürmer in eine durchdacht inszenierte Opferrolle. Zu den Widerständen in der Weimarer Republik heißt es: „Er [Der Stürmer; Anmerkung des Verfassers] wurde verfolgt und unterdrückt. Dutzendemale wurde er beschlagnahmt und verboten.“1 Dennoch habe er gegen alle Widerstände angekämpft: „Die einzige Zeitung in Deutschland, ja in der ganzen Welt, die offen und frei heraus den Juden die Anklage des Ritualmords ins Gesicht schreit, ist der ,Stürmer’“.2 Konterkariert wird die erste Aussage vor allem dadurch, dass ausgerechnet Hitler Restexemplare von Streichers Sondernummer von 1934 per Verordnung beschlagnahmen ließ.3
Auf 13 Seiten Sonderausgabe (plus sieben weitere Seiten Anzeigen-Werbung) versuchte Der Stürmer im Mai 1934 die Ritualmordlüge in den Köpfen der deutschen Bevölkerung zu etablieren und damit den Judenhass weiter anzuheizen. Auf der Titelseite findet sich neben dem Aufmacher Jüdischer Mordplan gegen die nichtjüdische Menschheit aufgedeckt eine für den Stürmer typische Karikatur des berühmt-berüchtigten Zeichners Fips (Philipp Rupprecht). Unter der Überschrift Judenopfer ist hier eine Wolke aus vielen Kindern zu sehen, die alle helle Haare haben und per Kreuz als Christenkinder bzw. vermeintlich „arisch“ dargestellt werden. Den Kindern wird von zwei darunter stehenden Juden die Kehle aufgeschlitzt und das Blut, welches aus dem Hals der Kinder fließt, wird in einer Schale aufgefangen. Als Juden sind die beiden zu erkennen, da zum einen die Auffangschüssel mit einem Davidstern versehen ist und sie außerdem mit den typisch antisemitischen Klischees ausgestattet wurden: krauses Haar, lange Hakennase, wulstige Lippen, fliehende Stirn und klauenartige, knochige Finger. Dazu passend die zur Gewalt aufrufende Bildunterschrift in Reimform: „Durch die Jahrtausende vergoß der Jud, geheimen Ritus folgend, Menschenblut. Der Teufel sitzt uns heute noch im Nacken, es liegt an euch die Teufelsbrut zu packen.“4
Auf den weiteren Seiten finden sich in den Artikeln die gängigen Elemente zum Ritualmordnarrativ: Christenkinder, die einem Ritus folgend sadistisch gequält und ermordet worden seien, ehe ihr Blut zum Backen von Mazzen verwendet worden sein soll. Zur Beweisführung werden prominente Judengegner wie Martin Luther sowie aus dem Zusammenhang gerissene Passagen der Bibel bzw. des Talmuds zitiert, auch das war eine für den Stürmer typische Vorgehensweise. Zusätzlich werden über sechs Seiten einzelne angebliche Ritualmordfälle der Geschichte kurz erläutert, darunter auch die Fälle aus Damaskus, Polná und Trient, gefolgt von einer Chronologie aller angeblichen Ritualmordfälle ab dem Jahr 169 v. Chr. bis ins Jahr 1932. Am Ende der Ausgabe befinden sich Literaturhinweise zum Thema „Ritualmord“ sowie Literatur, die zur Erstellung der Sonderausgabe benutzt worden sein soll. Damit wollte die Stürmer-Redaktion ihrer Hetze einen wissenschaftlichen Anstrich geben, um so Glaubwürdigkeit und Transparenz zu vermitteln, auch wenn die angegebenen Quellen keine wissenschaftlichen Standards erfüllen, teilweise viele hundert Jahre alt sind und selbst antisemitische Hetze darstellen.
Für besonderes Aufsehen sorgte der Artikel Mordplan gegen Adolf Hitler. Es kam zu Protestschreiben der Reichsvertretung der deutschen Juden an Hitler, den Reichsminister des Inneren, Wilhelm Frick und den Reichsbischof, Ludwig Müller. Die Jüdinnen und Juden befürchteten, selbst Opfer von Rachemordplänen zu werden, nachdem im Artikel der Bogen von den angeblichen Ritualmorden zu Attentaten gegen Hitler und andere Nazi-Größen gespannt wurde. Auch die Gestapo protestierte gegen die Sondernummer und Hitler ließ schließlich – wenn auch erst nach dem Erscheinen – die Restexemplare beschlagnahmen. Dabei ging es den frisch an die Macht gekommenen Nazis vor allem um das Deutschlandbild im Ausland sowie die Angst davor, den antijüdischen Terror nicht mehr selbst lenken und kontrollieren zu können.5

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