„Der Stürmer“ – Sondernummer Mai 1939
Die Sonderausgabe des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer vom Mai 1939 behandelt “jüdische Ritualmorde” und zeigt unverkennbar die Intention seines Herausgebers Julius Streicher: Menschen jüdischen Glaubens zu diffamieren und zum Feindbild des deutschen Volkes zu erklären. Auf etlichen Seiten bedient Streicher sich bei teils jüngeren und teils sehr alten Ritualmordlegenden.
Die Titelseite zeigt recht anschaulich, wie Streicher dabei die breite Bevölkerung erreichen will: Ein großes Bild, das insgesamt wohl dreimal so viel Platz einnimmt wie die Erklärung dazu, gibt ersten Aufschluss darüber, wie ein “jüdischer Ritualmord” wohl ausgesehen haben soll. Mehrere Figuren, die dem NS-Stereotyp „des Juden“ entsprechen, entnehmen sechs bayerischen Knaben durch Schächtung auf einem Altar das Blut und lassen die Leichname dann blutleer am Boden liegen. Laut Bildunterschrift soll sich dieser Fall 1475 zugetragen haben. Nach diesem Muster werden nun, wie auch schon in der ersten Sonderausgabe aus dem Jahr 1934, auf den nächsten Seiten weitere Fälle in aller Selbstverständlichkeit beschrieben. Diese lassen sich allerdings weder belegen, noch dienen die „Berichte“ irgendeinem anderen Zweck, als antisemitischer Propaganda.
Auf den Seiten drei und fünf lassen sich negative Reaktionen der in- und ausländischen Presse auf die erste “Ritualmord”-Sonderausgabe vom Mai 1934 finden. Unter der Überschrift „Alljuda alarmiert die Weltpresse“ wird dabei deutlich, dass Der Stürmer durchaus wahr- und ernstgenommen wurde. In den dort ausgestellten Zeitungsausschnitten ist häufig auch von einem Mordanschlag auf Adolf Hitler die Rede, wohl um der Dringlichkeit des Projektes um den antisemitischen Genozid Nachdruck zu verleihen.
Durch eine Kontrastimme sieht sich Der Stürmer angesichts der Fülle der Bemühungen um „Richtigstellung“ besonders angegriffen: Der damalige Erzbischof von Canterbury, der das höchste englische Kirchenamt bekleidet und von der britischen Monarchie eingesetzt wird, bot in der Presse Paroli und stellte sich auf die Seite der jüdischen Minderheit. Autoren des Stürmers versuchten daraufhin, durch aus dem Zusammenhang gerissene Bibelzitate, die sich als Motiv durch die ganze Ausgabe ziehen, die Inhalte ihrer Artikel zu verteidigen. Der Erzbischof stelle sich gegen den Antisemitismus und damit auf die Seite des Geldes, der Lügenpresse und Wirtschaft. Die Stürmer-Autoren versuchten mit diesen und weiteren haltlosen Unterstellungen außerdem besonders deutsche Gläubige von der Richtigkeit des Antisemitismus zu überzeugen. Dies funktionierte mit gemischtem Erfolg. Der letzte Beitrag behandelt die Frage, warum Der Stürmer überhaupt Ritualmord-Sondernummern herausgebe und dient als Zusammenfassung der Lügen, die sich durch die ganze Zeitschrift ziehen. Es wird noch einmal betont, dass die Praktik des “Ritualmords”, die beste Veranschaulichung sei, um aufzuzeigen, zu welch entsetzlichen Taten Jüdinnen und Juden fähig seien, um am Ende über die nichtjüdische Menschlichkeit zu triumphieren.
Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Stürmer-Sondernummern wohl jene Ausgaben waren, die die höchsten Auflagenzahlen erreichten. Bis zu zwei Millionen Exemplare waren im Umlauf. Diese Zahl zeigt, dass es sich trotz der aus heutigem Gesichtspunkt eher lächerlich anmutenden Unterstellung bei den antijüdischen Ritualmordlegenden, kaum um eine „Nischenargumentation“ handelte, sondern sie spätestens mit der zweiten Sonderausgabe volksweite Bekanntheit erreicht hatte.
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