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Die Aufhebung des Kultes

Spätestens nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es offizielle Bemühungen, den Kult zu verbieten oder ihn zumindest vorläufig einzustellen. Treibende Kraft dabei war Paul Rusch (späterer Bischof der Diözese Innsbruck). So stellte er in einer Eingabe an die Ritenkongregation vom 25. Februar 1954 in Zusammenhang mit der Neuordnung des Kalendariums für alle Eigenfeste den Antrag, dass das Fest des seligen Andreas von Rinn aufgegeben werden sollte.1 Rusch hatte zwar bewirkt, dass im Proprium vom 1. Januar 1956 die Aufhebung des Festes rechtmäßig vollzogen wurde, jedoch fanden sich weiterhin öffentliche Publikationen, die das Fest des Andreas bewarben.
Im Jahr 1957 wurde Alois Stöger zum neuen Abt von Wilten gewählt. Er bemühte sich zwischen 1960 und 1961 darum, Veränderungen an der Kirche von Judenstein vorzunehmen. Im Gegensatz zu Rusch zweifelte Stöger die historischen Beweise für einen Ritualmord an Anderl von Rinn an, was aus dem Briefverkehr zwischen ihm und Rom hervorgeht. Eine Bulle vom 5. Mai 1961 verfügte, dass in Judenstein alles entfernt werden müsse, was auf die Täterschaft der Juden und vor allem auf die Blutbeschuldigung hinweisen könnte. Dies betraf insbesondere die Legendentafel in der Kirche von Judenstein, sowie die dortige Figurengruppe.2 Letztere brachte man in das Landesmuseum Ferdinandeum nach Innsbruck. Damit sollte der Anderl-Kult im Sommer 1961 nach 300-jähriger Tradition offiziell aufgehoben werden. Allerdings änderte sich in Rinn für die Bevölkerung bis auf das Fehlen einiger Darstellungen und der Figurengruppe in der Kirche nichts. Der Kult blieb weiterhin bestehen. Deshalb setzte man auch mit Unterstützung aus Rom die Bestrebungen, den Kult zu beseitigen, fort. Von dort wurden die Bemühungen zur Entfernung aller an den sogenannten Ritualmord erinnernden Objekte aus der Kirche fortgeführt. Dies lag auf der Linie der gesamtkirchlichen Reformbemühungen: der Antisemitismus wurde auf dem 2. Vatikanischen Konzil am 25. September 1964 ausdrücklich verurteilt.3
In den 1970er und 1980er Jahren bestand der Kult dennoch weiter. Ähnlich wie 1957 kam auch im Jahr 1981 wieder durch einen Amtswechsel Bewegung in die Thematik. Der Vatikan setzte den Religionspädagogen Reinhold Stecher als Nachfolger für Bischof Rusch von Innsbruck ein. Schon zu Beginn seiner Amtszeit stellte dieser klar, dass Judenstein ein „Stein des Anstoßes“ sei. Mit diesen Worten beschrieb er seine erste „Besinnung“ zu Judenstein.4 Stecher behandelte den Anderl-Kult zunächst als lokales Relikt aus längst vergangenen Zeiten, welches im Leben der Tiroler Bevölkerung keinen Widerhall mehr finden und sich von selbst auflösen würde. Dies bestätigte auch die Wiener Journalistin Nadine Hauer, die im Juli 1984 im Auftrag des Österreichischen Rundfunks (ORF) zum Anderl-Kult in Rinn und Innsbruck recherchierte. Sie interviewte dafür gezielt Anwohner*innen in der Umgebung der Kirche von Judenstein. Ihre Ergebnisse wurden vom ORF am 1. Dezember 1984 im Feature „Judenstein: Legende ohne Ende“ ausgestrahlt.5 Danach nahmen im Jahr 1989 bei der Anderl-Wallfahrt mehrere hundert Leute teil, nicht nur Bewohner*innen aus der näheren Umgebung, sondern auch aus dem übrigen Tirol und anderen österreichischen Bundesländern sowie dem Ausland.
Am 2. Juli 1989 beendete Bischof Stecher den Kult des „Se. Anderle von Rinn“ und ließ die Kirche Judenstein in Mariä Heimsuchung umbenennen; damit sollte ein klares Zeichen der Distanzierung vom angeblichen Ritualmord gesetzt werden. Genau fünf Jahre später, am 2. Juli 1994, wurde die Beendigung des Kultes durch ein bischöfliches Dekret und dessen Veröffentlichung im Verordnungsblatt der Diözese Innsbruck kirchenrechtlich definitiv.6 Dennoch gibt es immer noch Anhänger*innen des Kults, die die Aufhebung nicht akzeptieren und jährlich am 12. Juli zur Kirche ziehen und dort ihre Andacht halten.

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