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Das Triumph-Lied

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Guarinonis Historj

Die Begrü[n]dte Historj Der Marter, deß Haillig = Vnschuldigen Khindtß Andree von Rinn […] ist das Ergebnis von 32 Jahren Recherche. In den Druck gekommen ist Hippolyt Guarinonis umfangreichste (schriftliche) Beschäftigung mit der Anderl-Thematik allerdings nie. Heute liegt dieses 1651 fertiggestellte Werk lediglich als Handschrift im Wiltener Stiftsarchiv vor. Eine vollständige Transkription existiert nicht.
Auf den gut 220 Seiten schrieb Guarinoni in aller Ausführlichkeit jene Geschichte nieder, mit der er sich schon seit 1619 beschäftigt haben will. Das Grundgerüst der Legende, welches er schon im Triumph-Lied konstruierte, ließ er bestehen, erweiterte und konkretisierte die einzelnen Elemente der Geschichte.
Ähnlich wie im Triumph-Lied stilisiert sich Guarinoni bereits im Titel als Diener des unschuld-igen Khindtß. Ebenso lässt er schon hier das Wort ‘Wissenschaft’ fallen, um deutlich zu machen, welchen Anspruch er selbst an den Text hat, und um gleichzeitig die Glaubwürdigkeit der Geschichte zu bekräftigen. Im Zusammenhang mit der Historj von Wissenschaft zu sprechen gestaltet sich aus heutiger Sicht allerdings problematisch. Guarinonis Beweise für die Mär, welche im wissenschaftlichen Kontext die Basis jeder Arbeit bilden sollten, würden heutzutage wohl nicht mehr als solche bezeichnet werden. So benennt er als Ursprung seiner Beschäftigung mit der Legende seine Frau. Sie habe ihm bereits 1619 von einem angeblich durch Juden ermordeten Kind in Rinn erzählt. Die folgenden 32 Jahre der Nachforschungen, von denen er schon im Titel der Historj spricht, förderten wohl auch keine validen Beweise für die Geschichte zu Tage. Seine Quellenlage bleibt fragwürdig. So will er beispielsweise die Namen der Personen seiner Erzählung durch Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern Rinns und Umgebung erfahren haben; wohlgemerkt ca. 150 Jahre nach den angeblichen Geschehnissen. Das Datum der Tat hingegen sei ihm im Traum erschienen.1
Ein weiterer Punkt, der hier Erwähnung finden muss, ist die andauernde Parallelität zu Simon von Trient, die in der aktuellen Forschung mehr als deutlich herausgearbeitet wurde. Der Vater des Anderl heißt Simon, Simons Vater heißt Andreas. Beide Mütter tragen den Namen Maria. Der Name des Anderl selbst entspricht hingegen dem Namen des Schutzpatrons der Rinner Kirche.2 Auch dieser Aspekt kann nicht zwingend als Beleg für die Legende gezählt werden.
Die Textebene der Handschrift wird hier – ähnlich wie bei dem bereits erwähnten Triumph-Lied – durch eine Bildebene ergänzt. Statt einer reinen Nacherzählung des Geschriebenen findet sich hier zum Beispiel eine Zeichnung des Dorfes Rinn, wie es in der Geschichte beschrieben wird. Auf der Illustration zu sehen sind die für die Legende entscheidenden Orte: Das Wohnhauses des Anderl, der sogenannte Judenstein, das Wirtshaus und die Kirche in Rinn.
Es lässt sich wohl nicht bestreiten, dass die Historj im Vergleich zum Triumph-Lied eine deutlich geringere Bedeutung für die Popularisierung der Legende gehabt haben wird. Allein die Tatsache, dass sie nur als Handschrift vorliegt, schränkte und schränkt den Kreis der Rezipient*innen deutlich ein. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass sie in Kombination mit dem Triumph-Lied vielen nachfolgenden Schriftsteller*innen als Vorlage für deren Beschäftigung mit der Anderl-Thematik diente.3
Außerdem ist sie ein deutliches Zeichen dafür, wie überzeugt Guarinoni von der Geschichte und ihrer Relevanz gewesen sein muss, insbesondere mit Blick auf starke Religiosität. Andernfalls hätte er sich wohl weniger bemüht, einen Eindruck von Wissenschaftlichkeit bei der Beschreibung zu vermitteln. Gegebenenfalls hätte er sogar deutlich weniger Zeit in die Niederschrift selbst investiert.

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