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Anderl in den Sozialen Medien
Eine Stichwortsuche in bekannten Sozialen Medien wie Facebook, Twitter, YouTube und Co. ergibt Treffer, die sich mit Anderl von Rinn aus unterschiedlicher Perspektive befassen. Die Videoplattform YouTube gibt einige Kurzfilme und selbstgedrehtes Material in deutscher, englischer oder französischer Sprache her. Auch eine Vertonung der Grimmschen Sage ist unter den ersten Ergebnissen. Kommentare findet man jedoch selten. Zuweilen wird gefragt, aus welchem Jahr das Video oder die Dokumentation stammt, aber eine kritische Auseinandersetzung mit dem Anderl-Mythos findet nicht statt.
Anders sieht es bei Twitter aus. Dort ist Anderl Bestandteil zahlreicher Tweets und wird oft genutzt, um auf Rechtsextremismus und Antisemitismus hinzuweisen. Im Zuge der Landtagswahlen in Österreich 2018 und 2019 nahmen User*innen der Nachrichtenplattform Anderl als Mittel der Kennzeichnung einer als rückständig betrachteten Heimat, wobei hierzu besonders rechts orientierte Politiker und Politikerinnen gezählt werden. Der angebliche Ritualmord wird dabei auffällig selten als historisch belegter Fakt betrachtet, sondern stets in den Kontext instrumentalisierter Propaganda gesetzt, als welche er genutzt wurde und teilweise noch wird. Eine gängige Bezeichnung in Konversationen ist „Anderl von Rinn Märchen“, um die Historizität der Legende gleich zu beurteilen und den eigenen Stand klar zu machen. Englischsprachige Nutzer und Nutzerinnen der Plattform werden hier eher Akteur*innen der antisemitischen Verbreitung des Kultes über das Internet. Auch die katholische Kirche und österreichische Parteien finden auf Twitter Kritik. Aufgrund eines Artikels über den Tiroler SPÖ-Landesparteichefs Georg Dornauer, entstand eine Diskussion zur nach wie vor bekannten Anderl-Legende. So behauptet ein User, dass Tiroler bis dato Anderl „ins Herz geschlossen haben und noch immer innig verehren”, als eine Benutzern schrieb, sie schwöre auf die Heilige Mutter Gottes, dass Tiroler*innen nicht alle so seien, wie der SPÖ-Politiker Dornauer.
Auf dem katholischen Forum Gloria.tv ist die Authentizität der Legende keine Frage. Sobald ein User oder eine Userin nach Beweisen für die vermeintliche Schuld der Jüdinnen und Juden sowie nach Anderl selbst gefragt wird, sehen sich Verehrer*innen des Kultes in der Aufgabe, ihren Glauben zu rechtfertigen. Dabei wird auf die Schriften Melzers verwiesen, der für die Anhängerschaft den Kult auf scheinbar historische Fakten aufbaut. Außerdem sieht man den Anspruch auf Glaubhaftigkeit schon darin begründet, dass sich der Kult so lange hält und auch im 21. Jahrhundert seine Anhängerschaft hat. Wohl aber wird auf den Vorwurf des Antisemitismus eingegangen, den man vehement bestreitet. So schreibt ein User beispielsweise, dass er es nicht verstehen könne, wie die Unterstellung „Judenhass“ zustande käme. Der User selbst „liebe das Volk der Juden“ und außerdem gäbe es auch Verbrecher unter den Christen. Dennoch ist für ihn die Täterschaft und Schuldfrage klar: Juden hätten den „sel. Andreas auf dem Gewissen“. Auf Gloria.tv finden sich neben Video-Kommentaren zu den Prozessionszügen, oder auch Berichten zu eben diesen, Buchempfehlungen um den Anderl-Kult, unter anderem Melzers Das selige Kind Andreas von Rinn: Ein wahrer Märtyrer der katholischen Kirche.
Anderl wird auf Twitter und Co. sehr unterschiedlich beurteilt. Der Kult bietet Diskussionspotential selbst nach dem offiziellen Verbot durch die katholische Kirche. Die Nutzung der Sozialen Medien ermöglicht den User*innen einen anonymen Austausch über die Thematik. Nach wie vor wird sich mit der Legende auseinandergesetzt. Zwar werden die Worte „Jude“ und „Ritualmord“ seltener verwendet, doch wird Anderl zuweilen auch mit diesen verknüpft bzw. in einen Zusammenhang mit antisemitischen Themen gebracht.
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