Internationale Rezeption
Die Ereignisse rund um das Verschwinden der Eszter Solymosi in Tiszaeszlár wurden nicht nur innerhalb der Habsburgermonarchie von der Öffentlichkeit beobachtet. Berichte über das Mädchen und Theorien über die Umstände, unter denen es verschwand, breiteten sich innerhalb weniger Wochen auch über die Grenzen des Reiches hinaus aus – sowohl innerhalb Europas als auch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu trugen neben Zeitungen, Satiremagazinen, Broschüren und Flugblättern auch Kunstwerke sowie in nicht unerheblichem Ausmaß auch die beiden Internationalen Antijüdischen Kongresse in Deutschland bei.
Während in nationalen sowie deutschen Medien vielfach antisemitisch befeuerte Theorien zum Fall publiziert wurden, da sie den in diesen Regionen aufkommenden judenfeindlichen Tendenzen entsprachen, hielten sich internationale Medien zunächst oftmals mit einer klaren Haltung zu den kursierenden Gerüchten zurück und stellten stattdessen zuweilen mehrere konkurrierende Theorien dar.1 Oftmals handelte es sich gerade bei antisemitischen Veröffentlichungen um Werke, die zunächst im unmittelbaren Umfeld der Affäre, im Gebiet der Habsburgermonarchie, in deutscher und ungarischer Sprache erstellt und veröffentlicht worden waren. Durch die internationale Medienpräsenz des Falles sowie durch Bemühungen einflussreicher Persönlichkeiten der antisemitischen Bewegung in Ungarn fanden diese bald auch in anderen Sprachen ihren Weg in die breite internationale Öffentlichkeit. So endete mit dem Freispruch der jüdischen Angeklagten im Jahr 1883 der Einfluss der Legende um das Blutritual unglücklicherweise nicht, sondern sorgte in antisemitischen Kreisen stattdessen sogar für eine Bestätigung jener Theorien über den Einfluss, den das sogenannte Weltjudentum angeblich auf Politik und Wirtschaft auszuüben vermochte.
Als sich die Affäre in den 1930er Jahren zum 50. Mal jährte, erregte sie im Kontext der aufstrebenden Nationalsozialisten in Deutschland erneut erhöhte Aufmerksamkeit und sorgte zunächst für mahnende und besorgte Äußerungen in liberalen sowie jüdischen Medien. Im weiteren Verlauf sollte sie erneut zum Zwecke der Verfolgung antisemitischer politischer Interessen instrumentalisiert werden.2
Bis heute ist der Fall von Tiszaeszlár unvergessen und lebt in Beiträgen zur mahnenden Erinnerungskultur – Theaterstücken, Ausstellungen, Radiobeiträgen – fort, aber ebenso in antisemitisch eingestellten Kreisen in Verschwörungstheorien rund um das Judentum und dessen angeblichen Einfluss auf das Weltgeschehen.
Exponate zum Thema